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AutorenbildAntje Hirt

Abschied im Lebenskreis

Aktualisiert: 26. März 2023


Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise

und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen.

Nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,

mag lähmender Gewöhnung sich entraffen. Hermann Hesse (Stufen)


Abschiede gehören zum Leben. In seinem Fluss sind sie oft ein Wendepunkt. Unabhängig davon, ob wir den Abschied kommen sahen oder von ihm überrascht wurden, wir nehmen damit zusammenhängende Gefühle wahr. Unsere Reaktionen darauf reichen von einem Schulterzucken bis hin zu Frustration, Trauer oder auch Erleichterung und Vorfreude. Der berühmte Zauber, den Hermann Hesse in seinem Gedicht beschreibt, lässt erst einmal auf sich warten. Denn, so beschreibt es der Dichter, nur wer bereit ist Abschied zu nehmen, macht sich damit bereit für einen Neubeginn.


Nachdem ich bereits in meiner Ausbildung viel mit Sterben und Tod konfrontiert war, habe ich immer wieder über Abschiede nachgedacht.

Für mich sind Abschiede Übergänge. Und diese Übergänge meistern wir nicht so leicht, wie unser gewohntes Leben. Übergänge können wir Menschen nicht so gut. Deshalb versuchen wir zuerst sie irgendwie abzuwenden, zu umgehen oder zumindest abzukürzen.

All das wird nicht gelingen. Denn der Abschied hat seinen eigenen Rhythmus. Er hat schon angefangen, noch bevor wir ihn bemerken. Und er ebnet den Weg für eine Zukunft, die wir uns noch nicht vorstellen können.

Deshalb ist die Auseinandersetzung mit dem Thema Abschied für mich im Jetzt und im Alltag zu suchen. Sie findet statt bei Abschieden wie Umzügen, wenn wir einen Job kündigen, Freundschaften beenden, Lebensträume verabschieden oder Lebensabschnitte wie Pubertät oder Wechseljahre durchleben, die einen vorherigen Lebensabschnitt beenden. Das sind vergleichsweise kleine Abschiede, die uns lehren können, mit dem grossen Abschied des Lebens, mit dem Tod umzugehen.

Je besser es uns gelingt kleine Abschiede bewusst zu gestalten, desto vertrauter wird sich der grosse Abschied wohl anfühlen. Wenn wir aus ihnen gelernt haben, dass sie einen Neubeginn einleiten, wir aber Zeit brauchen, um das zu sehen, dann anerkennen wir den Lebenskreis. Dann ergeben wir uns in seine natürlichen Gesetzmässigkeiten und können besser mit der Ungewissheit umgehen.


Warum tun Abschiede weh?


Das hat oft damit zu tun, dass wir etwas bedauern. Selbst bei aller Vorfreude auf etwas Neues, empfinden wir Wehmut. Bei einem Umzug freuen wir uns auf die neue Wohnung, mehr Platz und Übersicht oder einen kürzeren Arbeitsweg. Gleichzeitig kommt Wehmut auf bei dem Gedanken, eine geliebte Gegend zu verlassen oder wir fühlen uns physisch noch einmal in die Gemütlichkeit der Enge und Geborgenheit des alten zu Hauses hinein. Dann kann es eine Zeit des Haderns und der Fragen geben. Habe ich richtig entschieden? Sollte ich doch nicht umziehen? Welche Prioritäten sollte ich setzen? Werde ich es bereuen? Freude und Bedauern wechseln sich ab. Das ist anstrengend. Selbst bei einem freudigen Ereignis.

Das Bedauern betrifft die Vergangenheit. Das, was wir hatten. Die Fragen betreffen die Zukunft. Die wir uns noch nicht so recht vorstellen können. Wir stehen dazwischen. Im Raum des Überganges. In dem uns unser ganzes Gefühlsspektrum überfallen kann. Kein Wunder, dass wir uns verloren vorkommen!

Ähnlich ist es bei einem Verlust. Das heisst einem Abschied, den wir weder selbst wählten, noch einem, der sich vorher ankündigte.

Ich hatte immer wieder mit Angehörigen zu tun, die plötzlich einen Menschen verloren haben. Sie fanden es unerträglich, dass sie sich nicht verabschieden konnten. Sie empfanden diesen abrupten Abbruch als grosse Bürde. Und manchmal äusserten sie in ihrem Schmerz, dass eine Erkrankung, die langsam voran schreitet wohl besser zu ertragen sei, weil man Zeit hat sich an den Gedanken des Abschieds zu gewöhnen.

Ich hatte ebenfalls mit Angehörigen zu tun, die diese Art von Schicksal ereilte. Sie mussten zusehen, wie ein geliebter Mensch lange mit einer Krankheit lebte und am Ende dann gehen musste. Vielleicht war das tatsächliche endgültige Ende etwas leichter zu akzeptieren. Aber leicht war es nicht. Und auch hier hörte ich ab und zu den Satz, dass ein plötzliches Ende wohl besser zu ertragen sei, als dieser lange Abschied auf Raten.

Wenn wir wählen könnten, was würden wir wählen? Und würden wir unterschiedlich wählen, wenn es um unseren eigenen Tod geht oder um den Tod eines geliebten Menschen, den wir begleiten?

Ich glaube Abschiede, klein oder gross, gehören zum Leben. Sie zu vermeiden ist unmöglich. Aber sie bewusst durchleben, das geht. Damit uns das gelingt, müssen wir der Trauer Raum geben, Schmerz durchfühlen. Nicht dagegen kämpfen, sondern ihn als Teil unseres Übergangsprozesses anerkennen. Denn durch trauern verabschieden wir das Vergangene und der Raum wird frei für das Neue. Auch wenn wir noch nicht wissen, was das sein wird. Wenn der Raum geklärt und frei ist, dann wird er sich füllen. Dann fangen wir an Pläne zu machen. Bis es soweit ist, vergeht Zeit. Abkürzen ist unmöglich. Es dauert so lange es dauert.


Was können wir tun, in Zeiten des Überganges?

Mir hilft es, mich auf Dinge zu konzentrieren, die ich beeinflussen kann. Das heisst konkret im Alltag einen Schritt nach dem Anderen zu tun. Und sei er noch so klein. Und ich entdecke inzwischen ein kleines Licht am Ende des Tunnels, wenn ich bemerke, dass die Zeit gekommen ist, in der ich die Vergangenheit würdigen kann. Als das was sie ist. Mit einem liebevollen Blick zurück. Wenn es mir gelingt, der Vergangenheit eine Bedeutung in meinem Leben zu geben und eine Vorahnung davon bekomme, dass da noch etwas auf mich wartet, dann weiss ich: jetzt wendet sich das Blatt.

Beim grossen Abschied, wie dem Tod, heisst das: Wenn das Bedauern darüber, was wir mit dem geliebten Menschen nicht mehr tun können, langsam dem Gefühl Platz macht dankbar dafür zu sein, was wir mit diesem Menschen alles hatten.

Und solange gehen wir durch den aktiven inneren Vorgang der Verabschiedung.

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