...und das ist ROT.
Als Kind habe ich diese Spiel geliebt. Meine Eltern haben es mit uns gespielt, um uns die langen Autofahrten bis an die Ostsee zu verkürzen.
Was dieses Spiel mit der Blogparade zum Weltalzheimertag zu tun hat?
Den Auftakt macht heute die Frage: Was ist dein Moment des Hinsehens?
"Ich sehe was, was du nicht siehst" enthält eine Wahrheit darüber, wie wir hinsehen. Wir können nicht davon ausgehen, dass jeder die Welt durch unsere Augen sieht. Das Spiel beweist auf einfache Weise, dass es nicht so ist. Selten findet ein Mitspieler sofort heraus, was gemeint ist. Er hat seinen Fokus im Moment der Fragestellung auf etwas Anderem. Wenn er dann anfängt seinen Fokus zu wechseln und ihn auf die geforderte Frage lenkt, beginnt dennoch eine Zeit des Suchens und Herantastens. Zuerst fallen uns die offensichtlich roten Dinge ins Auge. Erst, wenn sie mit einem entschlossenen "Nein" belegt werden, suchen wir weiter, verfeinern unseren Blick, nehmen das klitzekleinste Rot wahr, durchforsten jeden Winkel in unserer Umgebung mit unseren Augen. Denn wir wollen ein Ja!
Momente des Hinsehens, die wünsche ich mir im Zusammenhang mit einer Demenz.
Zu Beginn steht häufig das Wegsehen. Auch das Wegsehen hat seine Berechtigung. Denn wie das mit dem Fokus so ist. Lege ich meine Aufmerksamkeit auf Demenzsymptome, dann entdecke ich sofort eine ganze Menge. Da genügt ein enorm stressiger Tag bei mir. Wenn ich dann nicht gegensteure mit einem entschlossenen Nein, dann sehe ich mich schon kurz vor der Diagnose.
Deshalb ist es beim Hinsehen gar nicht so einfach, eine gute Balance zu finden. Denn, wie bei allem im Leben, gilt es die Extreme zu vermeiden. Sie sind vergleichbar mit den ersten plakativen Rotflächen, die wir sehen.
In Familien führt das manchmal zu regelrechten Gräben. Der Eine sieht etwas klar und, seiner Wahrnehmung nach, eindeutig. Der Andere kann nichts von dem Erkennen.
Schaffen es alle Beteiligten, sich auf ein gemeinsames Hinsehen einzulassen, dann beginnt die verfeinerte Sicht. Wir schauen differenzierter, detaillierter und ergänzen uns gegenseitig. Und Derjenige, welcher kompetent ist Ja oder Nein zu unseren Beobachtungen zu sagen, das ist der Mensch, der sich verändert selbst. Nur er ist der Spielgeber, welcher uns kompetent Auskunft geben kann. Selbstverständlich möchte er nicht möglichst viele Ja einsammeln, wenn es um Demenzsymptome geht. Bitte nicht falsch verstehen. Aber ein Mensch, der bemerkt, dass sich etwas verändert, was ihn verunsichert, der möchte herausfinden, was mit ihm los ist. Der möchte sich auf Spurensuche begeben. Der ist wahrscheinlich schon bevor Menschen in seiner Umgebung etwas auffällt in die Falle des "Rotsehens" getappt. Der braucht auch für seine Balance in der Selbstbeobachtung mehrere Perspektiven. Denn beim Hinsehen nützt uns weder bagatellisieren, noch übertreiben. Hinsehen braucht Raum und diesen Raum können wir bewusst schaffen. Eine Frage, die mir hilft den Raum zu halten ist: Sehe ich was ich sehe aus einem Grund? Ich bleibe also zunächst bei mir.
Um den Raum zu öffnen für Menschen mit Demenz und ihrer Sichtbarkeit in unserer Gesellschaft, wünschte ich mir, dass wir uns Gedanken machen darüber, was Menschen mit Demenz uns zurückmelden über ihren Alltag. Wenn sie es mit Worten nicht mehr können, dann zeigen sie es uns durch Verhalten oder Reaktionen. Wie schaffen wir Raum um hinzusehen? Wo überall sind sie noch nicht Spielgeber sondern unseren Interpretationen ausgeliefert? Wo verrennen wir uns im Funktionieren und sehen die Möglichkeiten nicht mehr?
In einem späteren Stadium des Lebens mit einer Demenz hat "Ich sehe was, was du nicht siehst..." für mich eine andere Berechtigung. Dann, wenn das Ja oder Nein nicht mehr deutlich ausfällt. Dann, wenn wir gezwungen sind auch Entscheidungen zu treffen ohne den Willen des betroffenen Menschen zu kennen. Dann, wenn Fürsorge gefragt ist und der mutmassliche Wille in Entscheidungen einfliesst. Denn zu diesem Zeitpunkt gibt es bereits ein begleitendes Netz von Menschen, welches gemeinsam hinschaut. Auch dann macht es Sinn, sich zunächst darüber auszutauschen, was wir beobachtet haben. Uns zunächst die Frage zu stellen, ob das, was der Andere beobachtet hat genauso wahr sein könnte. Diesen Abgleich finde ich notwendig, bevor wir Handlunsoptionen abwägen und nächste Schritte definieren.
Liebe Antje, die Beschreibung des notwendigen Perspektivwechsels ist sehr treffend. Möge es den Familien immer besser gelingen, aus der "Ich weiß etwas (besser), was du nicht weißt"-Haltung heraus zur suchenden Haltung zum Wohle des Erkrankten zu finden. Wir arbeiten dran ... :-) Viele liebe Grüße, Eva