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Systemtheorie und Demenz

Autorenbild: Antje HirtAntje Hirt

Seit ich mich mit dem Systemischen Denken und der zugrunde liegenden Systemtheorie beschäftige, gelingt es mir noch besser in Worte zu fassen, was für mich die Essenz im Umgang mit Menschen mit Demenz ist. Wovon ich ausgehe bzw. wie der Boden meiner Herangehensweise beschrieben werden kann, auf dem alles Andere aufbaut, das versuche ich in diesem Blogartikel zu beschreiben. Oder nochmal anders gesagt: Was gefällt mir an meiner täglichen Beschäftigung mit dem Thema Demenz besonders?

Es gibt kein richtig oder falsch

Und weil das so ist, kann ich mit meinen Gedanken spielen. Ich kann ganz wilde Theorien entwickeln, mir vorstellen, aus welchen Gründen was wie sein könnte und kann Hypothesen bilden, was alles eine Rolle spielen könnte in der jeweiligen Situation. Die Grundannahme, dass ich nicht wissen kann, welches die Realität meines Gegenübers ist, bewahrt mich davor etwas richtig oder falsch zu finden und bestärkt meine Überzeugung, je mehr Optionen ich habe, desto besser lässt sich eine Lösung entwickeln. Zwischen meinen Gedanken spazieren zu gehen, um sie dann auszusieben, abzuwägen, zu überprüfen oder auch wieder zu verwerfen und dies auch mit Familien oder Teams zu teilen, um wiederum neue Gedanken hinzufügen zu können, führt am Ende zu passgenauen Lösungen.

Angebot und Nachfrage

Als Begleitperson kann ich dem Menschen mit Demenz verschiedene Angebote machen. Zum Beispiel kann ich unterschiedliche Facetten meiner Persönlichkeit anbieten oder mögliche Lösungsansätze, die wir gemeinsam ausprobieren. So kann der Mensch mit Demenz entscheiden, was davon er annimmt oder womit er nichts anfangen kann. Weil ich nie so genau weiss, wofür er sich entscheidet, erweitert das meine Wirklichkeitsflexibilität und lässt meinem Gegenüber einen Möglichkeitsraum, der sich, wenn wir es schaffen gemeinsam neue Handlungsalternativen zu finden, erweitert. Dieser Prozess schliesst mit ein, dass ich Strategien meines Gegenübers würdige, seine eigenen Lösungsversuche sehe und nicht daran festhalte mich an meinen eigenen Ideen zu orientieren, sondern die Ressourcen aufzudecken, die sich zeigen.

Zuversicht

Meiner Meinung nach bemerken Menschen mit Demenz mit ihren feinen Antennen, wenn wir in der Haltung auf sie zugehen: Dies oder jenes ist eh nicht mehr möglich.

Stattdessen versuche ich den Menschen nicht isoliert zu sehen, sondern in dem Familiensystem oder dem Kontext, in dem er lebt, zu betrachten. Die Haltung: In diesem System gibt es noch Möglichkeiten, überträgt sich und hat im Alltag schon für so manche Überraschung gesorgt.

Lachen

Von Leichtigkeit und Fröhlichkeit im Alltag mit Menschen mit Demenz zu sprechen heisst nicht, die herausfordernde Situation für alle Beteiligten nicht anzuerkennen. Dennoch ist die Haltung die Dinge mit einer gewissen Beschwingtheit annehmen zu wollen und die tägliche Leichtigkeit zu versuchen eine Voraussetzung dafür, dass es ab und an gelingt die Dinge mit Humor zu betrachten.


Neugier

Das Wort Neugier war früher für mich eher mit der Warnung aus meiner Kindheit assoziiert: "Sei nicht so neugierig!" Das sollte garantieren, dass Kinder ihre Nase nicht überall hinein stecken.

Heute geniesse ich die Energie meiner Neugier, die mich mein Leben lang zu den interessantesten Themen getragen hat. Neugierig sein hat immer etwas damit zu tun die Welt verstehen zu wollen. Sie enthält den Versuch andere Weltbilder begreifen zu wollen und Fremdes vertrauter zu machen.

Im Umgang mit Demenz heisst das für mich, immer wieder auf Distanz zu gehen zu den eigenen Überzeugungen und mir die Welt meines Gegenübers erklären zu lassen.

Zeit geben

Die Verantwortung für den festen Glauben daran, dass Veränderungen möglich sind, liegt bei mir. Die Verantwortung wie schnell Veränderung passiert und ob sie überhaupt in Betracht gezogen wird, muss ich beim Gegenüber lassen. Niemand lässt sich gern schieben oder drängen und jeder, der engen Umgang mit Menschen mit Demenz pflegt, kennt auch den Widerstand, der entsteht, wenn wir unbedingt etwas wollen, von dem uns das Gegenüber anzeigt: "So ist es für mich nicht möglich."

Meine Haltung von Neutralität seiner Verhaltensantwort gegenüber ist entscheidend, um in Verbindung zu bleiben und anzuzeigen, dass wir nicht urteilen, sondern neue Angebote machen.

 
 
 

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