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AutorenbildAntje Hirt

Das Wechselbad


Es gibt Zeiten, da befinde ich mich in einem Wechselbad der Gefühle. Ich habe ständig andere. Das ist anstrengend.

Ich bade gern, deshalb stelle ich mir das bildlich ähnlich vor. Wenn die Temperatur nicht passt, passe ich an. Ein wenig warmes Wasser, ein wenig kaltes Wasser. Irgendwann ist es genau richtig.

Beim Wechselbad der Gefühle vermisse ich dieses "genau richtig". Es ist, als wäre die Mischbatterie kaputt. Meine Gefühle passen nicht zu dem, was im Aussen passiert.

Im Gegensatz zum Wannenbad, sitze ich aber beim Wechselbad der Gefühle nicht IN der Wanne, sondern ICH BIN die Wanne. Ich kann nicht einfach aussteigen, wenns mir zu bunt wird. Diese Gefühle tummeln sich in mir. Ich kann nur staunend feststellen, dass mein inneres Koordinatensystem gerade spinnt.

Damit ich (also die Wanne) nicht überlaufe, muss ich mir anschauen, welche Regler ich bedienen kann.

Mein inneres Koordinatensystem bestimmen meine Werte. An denen richte ich mein Leben aus, die sind mir wichtig. Läuft dort etwas nicht rund, dann ist es Zeit für einen Check up. Woher kommen diese Gefühle und wozu fordern sie mich auf?

Das zu überdenken setzt voraus, dass ich Worte dafür finde. Nur wenn ich Worte habe, kann ich mir Gedanken darüber machen und irgendwann damit umgehen. Aber BIS ich Worte habe, kann es dauern. Bis dahin verselbstständigt sich das Wechselbad. Das fühlt sich richtig Sch... an.

Die Gefühle, die sich so anfühlen, lassen sich kurz und bündig zusammen fassen: Schuld, Scham oder Angst. Es ist das alte Spiel. Und es ist meistens das Messen an den eigenen Idealen. Das verzweifeln daran, wie ich sein müsste und nicht bin.

Der Stöpsel, an dem ich ziehen kann, damit diese Gefühle abfliessen ist meine Bereitschaft sie nicht weghaben zu wollen, sondern sie zu sehen und mich zu fragen: An welchem Ideal messe ich mich gerade? Welchen meiner Werte habe ich verletzt?

Führen mich diese Werte hin zu dem Menschen, der ich sein möchte oder ist er von mir gemacht worden, weil ich glaubte andere wollen mich anders haben?

Mein Wechselbad ist zu einer Aufforderung geworden. Eine Aufforderung zu überdenken, was ich verändern möchte. Es kommt immer ungelegen. Und der Stöpsel lässt sich erst ziehen, wenn ich unerreichbare Ideale angepasst habe. Auch das kann dauern.

Das Wechselbad der Gefühle ist ein Überfallkommando. Es fackelt nicht lange, ist omnipräsent. Von hier auf jetzt. Und doch kenne ich es inzwischen gut genug, dass es mich weniger überrascht. Nicht immer, aber immer öfter.

Und ich weiss, dass ich mich an meinen Werten verletzen kann. Meinen eigenen.

Marina van Tasie schrieb zu meinem Text so wunderbar:

"Am Meer denke ich immer, dass ich da so glücklich bin, weil das Meer Platz hat. Da kann ich alles ausbreiten und um jeden Gedanken drum herum schwimmen. Jeden wirken lassen. Verstehen. Aus-einander-setzen."

Ich war gerade am Meer. Und ich konnte dieses Gefühl wieder fühlen. Diese Weite. Alles hat Platz. Gedanken haben genug Zeit sich zu entfalten. Ruhe und Frieden scheinen mit jeder Welle direkt in den Körper zu schwappen. Ein scheinbar unendlicher Raum entsteht.

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