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  • AutorenbildAntje Hirt

Wahrnehmung


„Wahrnehmung ist eine seltsame Sache. Jeder einzelne Mensch nimmt die Welt um sich herum anders wahr. Es gibt gewisser Massen also Millionen unterschiedliche Welten.“

Mit diesen Worten beginnt der Film Graustufen von Johanna Gross, welchen ich kürzlich sah. Mich beschäftigte das Zitat noch eine Weile. Denn genau diese Welten sind ein unglaublicher Schatz. Nur sehen wir das im Alltag oft anders. Verwirrend.

Wenn niemand die Welt direkt wahrnimmt, sondern stets gefiltert durch seine 5 Sinne, dann entstehen unterschiedliche Welten. Sie faszinieren mich, seit mir das selbst bewusst wurde. Ich meine so richtig bewusst. Mit einem echten Aha-Effekt. Als diese Wahrheit in mein Bewusstsein vordrang.

Dieser Moment kam für mich mit dem Fall der Mauer in der DDR. Bis dahin hatte ich wohl angenommen, dass alle Menschen die Welt gleich sahen wie ich. Ich muss lachen. Das Privileg der Jugend, sich selbst für den Nabel der Welt zu halten.

Der eiserne Vorhang fiel und meine kleine Welt wurde plötzlich riesengross. Mir begegneten andere Lebensentwürfe, andere Sichtweisen, andere Familiensprachen, andere Umgangsformen, andere Prioriäten, andere Werte. Da war er, mein Aha-Effekt und die Erkenntnis, wie sehr mein Aufwachsen, meine Umgebung, das System in dem ich lebte, meine Wahrnehmung geprägt hatte. Ich wurde süchtig nach „anders“. Ich wollte durch die Augen der Anderen sehen, durch ihre Haut fühlen, durch ihre Ohren hören. Mir war, als würde ich erst jetzt erfahren, was mir all die Jahre gefehlt hatte. Ich wurde zum staunenden Kind und entdeckte, was alles in mir war. Mir wurde der Zusammenhang bewusst. Ich konnte es nicht in mir entdecken, weil ich keine Vorstellung davon hatte. Meine Wahrnehmung beschränkte sich auf die Welt, in der ich bisher gelebt hatte. Vermutlich bewahrte mich das auch vor der Verzweiflung? Und vielleicht blieb dann, beim Erkennen, der Schmerz erträglich, weil ich losziehen konnte. Die Menschen in mich aufsaugen, in ihrer Unterschiedlichkeit.

Am Anfang war die Beobachtung. Die wiederum durch meinen eigenen Filter ging. Es brauchte noch ein paar Jahre, bis ich die Kommunikation entdeckte und nutzte um nachzufragen. Erst dann präsentierte sich mir die Welt der Anderen. Und am Ende fragte ich meine Schwester, wie sie unsere Kindheit erlebt hatte. Es war eine andere Geschichte, als meine. Ich fragte andere Menschen, die in der DDR aufgewachsen waren, wie sie diese Zeit erlebt haben. Es waren hundert andere Geschichten.

Ich arbeite mit Menschen. Schon mein Leben lang. Ich habe einen riesigen Pool an Welten gesammelt, aus denen ich schöpfe.

Heute höre ich die Zwischentöne, ich bemerke die Nebensätze, ich erkenne die Stimmlage und sehe die Haltung. Was auch immer ganz kurz aufblitzt, meistens bemerke ich es. Das ist eines der Schlüsselelemente in der Weiberia. Ich höre deine Wahrnehmung und sehe mit meiner eigenen auf die Situation. Ich stelle eine Frage. Wir finden heraus, welche Welt gerade nützlich ist, um dich weiter zu bringen. Ich fühle vor und kundschafte aus. Wenn es sein muss grabe ich, graben wir zusammen.

Am Ende nimmst du deine Welt immer noch wahr, mit allen deinen Sinnen. Und doch ist etwas anders…

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