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  • AutorenbildAntje Hirt

Demenz. Herausfinden, was funktioniert!


Jeder Mensch konstruiert sich seine Welt. Durch sein Denken, seine Sprache und sein Handeln. So hat im Grunde jeder seine eigene Wirklichkeit. Menschen mit Demenz sind da keine Ausnahme. Mit einem veränderten Gehirn interpretieren sie die Welt einfach irgendwann anders.

Da wir alle nicht wissen können, wie die Welt unseres Gegenübers aussieht, bleibt uns nichts anderes übrig, als es herauszufinden. Das klingt vielleicht einfach, ist aber gar nicht so leicht. Etwas herausfinden können ist eine wichtige Kompetenz im Umgang mit Demenz. Es verlangt von uns, dass wir anerkennen, der Andere ist Experte für sich selbst. Dass wir ihm genau zuhören und die Antworten, die unser eigener Kopf bereit hält, zurückhalten. Ein gutes Erforschen gelingt - meiner Erfahrung nach - am Besten, mit einem hohen Mass an Präsenz, Zeit und bestenfalls in einem Rahmen, in dem sich alle Beteiligten wohl fühlen.

Im Umgang mit Demenz kann es hinderlich sein, das unbedingte Verstehen wollen anzustreben. Die Krankheit lässt sich nicht einfach mit dem Ursache-Wirkungsprinzip erklären. Die Ursachen kennen wir bis heute nicht ganz genau und die Auswirkungen sind vielfältig, individuell und komplex. Vielmehr ist es lohnenswert, den Fokus darauf zu richten, das Leben zu leben. Mit dem, was da ist.


Aber was ist da? Es ist der Alltag. Es sind Situationen. Es ist Verhalten.


Im Austausch mit Familien und Teams habe ich die Erfahrung gemacht, dass es einen grossen Unterschied machen kann, wer eine Situation beschreibt. Diejenigen, die stark an ihrer eigenen Wahrheit festhalten, haben es, im Umgang mit Demenz meist am Schwersten. Denn Vieles wissen wir einfach nicht genau. Was wir wissen ist oft nur, dass es so, wie es bisher funktionierte, jetzt eben nicht mehr funktioniert. Wir fühlen uns gezwungen etwas Anderes zu tun. Und vergessen dabei, was Steve de Shazer so schön sagte: "Das Problem ist wie ein Billett, es öffnet einem die Türen und viele Wege stehen offen." In der lösungsorientierten Praxis erachten wir es als hilfreich, im Problem die Ressource zu suchen und zu würdigen.

Von etwas selbst betroffen zu sein kann kleine Dinge zu grossen Herausforderungen machen. Was ich aber auch erleben durfte, ist die Tatsache, dass egal, wie leidvoll jemand Dinge erlebt, in allem eine Ressource steckt. Alles, was da ist, lässt sich nutzbar machen. Wir müssen es nur herausfinden.


Schmerz entsteht, wenn wir uns ein bestimmtes Bild von der Zukunft gemacht haben. Die Realität ist, wie sie ist. Erst der Gedanke, sie müsste anders sein, führt zu Unbehagen.


"Leben ist das, was passiert, während wir dabei sind, andere Pläne zu machen" John Lennon


Das gilt auch für ein Leben mit Demenz. Wenn unsere Vorstellung davon schwer und traurig ist, wird es uns schwer fallen die Ressourcen zu sehen, die wir nutzen können. Der Fokus verlagert sich auf die Schwere.

Als ich schwanger war, sah ich in meiner Umgebung plötzlich viele schwangere Frauen. Als ich mir ein neues Auto kaufen wollte, sah ich plötzlich ständig diese Marke, obwohl ich sie vorher nie gesehen hatte. Wenn Demenz in meinem Kopf ein Schreckgespenst ist, werden mir vornehmlich Situationen auffallen, die das bestätigen.


Was für mich letztendlich einen grossen Unterschied gemacht hat im Umgang mit Demenz ist, mir bewusst die lösungsorientierte Brille aufzusetzen. Das Bild der Brille gefällt mir deshalb so gut, weil ich sie mir riesengross vorstelle und mir dann sofort klar wird, was ich als erstes sein möchte: Beobachterin. Natürlich läuft vor eine Ressourcenbrille trotzdem irgendwann ein Problem. Da ich mich aber im Beobachtungsmodus befinde, habe ich den Korrekturblick bereits abgelegt, springt mein Denken nicht einfach mit der erstbesten Lösung los, sondern ich frage mich automatisch, wie viele mögliche Lösungen ich jetzt dafür finde. Das dürfen alle sein, die mir einfallen. Die vernünftigen und die verrückten. Und dann noch die total abgehobenen. Und weiter frage ich mich, was der Mensch mit Demenz von diesen Möglichkeiten halten wird und welche er selbst sieht. Und schon bin ich im Handeln. Ohne Schwere. Im Gegenteil. Ich bin gespannt auf seine Antwort. Ich gehe ins Gespräch mit einer Haltung aus Nichtwissen und Humor. Weil meine Lösungsideen mich innerlich oft selbst zum Lachen bringen und die Lösungen von Menschen mit Demenz genauso oft einfach und verblüffend gut funktionieren.


"Der Schlüssel zum Erfolg liegt innen." Andreas Müller


Mit diesem Zitat eröffne ich den Nachmittag einer meiner Demenzweiterbildungen. In der Auseinandersetzung damit, kommen wir schnell auf die eigenen Gedanken. Natürlich kann ich an einer Idee von Etwas festhalten. Im Umgang mit Demenz wird dann allerdings schnell klar, dass es schmerzhaft wird. Wenn Idee und Wirklichkeit nicht zusammen passen entsteht Leid. Unsere Idee konstruieren wir aus der Vergangenheit. Lösungsorientiert mit uns selbst umzugehen heisst in Richtung Zukunft zu blicken und nicht zurück. Indem ich immer weniger über das Nachdenke, was mich stört, sondern viel mehr über das, was ich erreichen will.


Fragen, die in die Zukunft gerichtet sind und ins Handeln führen sind zum Beispiel:


Was hätte ich gerne anstelle des Problems?


Was müsste in der Zeit von jetzt, bis in ein paar Monaten geschehen, wodurch ich mehr Frieden mit der Situation finden werde?


Welchen ersten Schritt kann ich jetzt schon machen, damit die Situation weniger schwer auf mir lastet?


Und welche Dinge bleiben wertvoll, obwohl die Situation mein Leben beeinflusst?


Um mich selbst in meiner Haltung zu bestärken, habe ich lösungsorientierte Annahmen für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen aufgestellt. Annahmen sind nicht "die Wahrheit". Es sind Arbeitsinstrumente . Die Auseinandersetzung damit hilft uns, den lösungsorientierten Anteil in uns zu stärken.


Meine lösungsorientierten Annahmen für Menschen mit Demenz (MmD):

  • MmD sind Experten in ihren eigenen Angelegenheiten

  • MmD verhalten sich immer angemessen

  • MmD haben eigene Meinungen und können diese äussern, wenn man sie danach fragt

  • MmD wollen kooperieren

  • MmD tun ihr Bestes unter schwierigen Umständen

  • MmD haben die Fähigkeit eine Wahl zu treffen, wenn man ihnen die Gelegenheit dazu gibt

Meine lösungsorientierten Annahmen für Angehörige von MmD:

  • Jeder Angehörige will, dass es dem MmD gut geht

  • Angehörige wollen helfen, nützlich sein

  • Angehörige wollen eine gute Beziehung zum MmD gestalten

  • Angehörige tun ihr Bestes in herausfordernden Situationen

  • Angehörige wollen stolz auf sich und den Menschen mit Demenz sein

  • Angehörige haben gute Gründe für ihr Handeln

An diese Annahmen glaube ich bis zum Beweis des Gegenteils. Sie helfen mir, mein positives Menschenbild zu verinnerlichen und drücken sich in der Sprache aus, die ich verwenden möchte. Sie beeinflussen, was ich im Umgang mit Betroffenen und Familien wertschätze.*


Und sie erinnern mich an die pragmatische Sicht des täglichen Lebens, welches für mich mit Leichtigkeit viel besser funktioniert.


Und wenn etwas funktioniert, mach mehr davon!

* Dieser Text enthält Auszüge aus der Schriftenreihe `Einfach, aber nicht leicht`

(ZLB Schweiz)






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