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  • AutorenbildAntje Hirt

Wirksamkeit oder Ohnmacht im Umgang mit Demenz



Wir alle verhalten uns in unserer Wirklichkeitskonstruktion immer logisch. Das ist bei Menschen mit Demenz nicht anders. Entspricht dieses Verhalten nicht dem, was wir als "normal" empfinden, sprechen wir schnell von herausforderndem Verhalten. Dabei handelt es sich in vielen Fällen einfach um Verhalten, welches wir, aus unserer Wirklichkeitssicht heraus, nur schwer deuten können.

Häufen sich solche Situationen und das Zusammenleben wird dadurch stark beeinflusst oder unsere Handlungsfähigkeit wird dadurch eingeschränkt, kann es zu Verzweiflung und Ohnmachtsgefühlen kommen.


Was können wir tun, wenn wir nicht wissen, warum ein bestimmtes Verhalten entsteht?

Zunächst einmal können wir andere Menschen nicht ändern. Die Verantwortung für Beziehungsgestaltung liegt allein bei uns. Auch im Umgang mit Menschen mit Demenz. Leider betrachten wir Situationen in dieser Hinsicht heute oft einseitig. Wir nehmen den Menschen mit Demenz in den Fokus, gehen davon aus, dass er ein Problem hat und Dinge in die Situation mitbringt. Wir versuchen seine Vergangenheit zu berücksichtigen und stellen Hypothesen dazu auf. Was jedoch oft vernachlässigt wird, ist der Gedanke, dass auch wir als Begleitpersonen unsere Persönlichkeitsstruktur und unsere Vergangenheit mit in eine Situation bringen. Es ist also wichtig, einen differenzierten Blick auf das Geschehen zu richten.


Eines scheint mir sicher zu sein. Der Mensch mit Demenz findet keine andere Möglichkeit das zu erfüllen, was wir von ihm verlangen. Deshalb verhält er sich so und nicht anders.

Schaffen wir es interessiert und empathisch, mit möglichst vielen Beteiligten auf die Situation zu blicken, dann können wir praktisch immer feststellen, dass sich nicht alle von seinem Verhalten herausgefordert fühlen. Das wiederum wirft die Frage auf, ob es dann überhaupt herausforderndes Verhalten ist? Wirft uns diese Feststellung nicht eher auf uns selbst zurück und zu der Frage: Warum fühle ICH mich durch dieses Verhalten so herausgefordert? Die Tatsache, dass es Ausnahmen gibt zeigt auf, dass es auch Auswege gibt.


Wir können uns fragen:

Wo tritt das Verhalten nicht auf? Was ist dann anders?

Wo genau entsteht der Stress bei mir?

Wie gehe ich in die Situation?

Was sind Einflussfaktoren?


Durch die Beantwortung solcher Fragen bewegen wir uns weg vom Menschen mit Demenz, der ein Problem hat, hin zu einer Analyse des Gesamtsystems. Es entsteht Handlungsspielraum bei mir selbst. Zu erkennen, dass die Art und Weise wie ich denke, mich verhalte oder was für eine Geschichte ich habe, Auswikungen auf meinen Alltag hat, ist entscheidend, wenn wir mit Menschen arbeiten. Wenn ich erkenne, dass Interventionen, die bei mir selbst beginnen, viel schneller auf das System einwirken können, als eine Veränderung beim Menschen mit Demenz zu erwarten, werde ich weniger enttäuscht. Mit einer unaufgearbeiteten eigenen Geschichte, kann ich keine gute Begleitperson sein. Je besser ich eigene Konfliktmuster, meine eigene Biografie, meine Erfahrungen und Trigger kenne, umso besser kann ich unterscheiden, welcher Stress zu wem gehört.


Wenn Sprache Wirklichkeit schafft, dann sollten auch professionelle Teams und Institutionen sich überlegen, wie Benennungen angepasst werden können. Herausforderndes Verhalten wird oft als Störung im Alltag empfunden. Es ist ein Unterschied, ob ich sage "Das Verhalten stört" oder "Ich fühle mich durch dieses Verhalten herausgefordert."

Teams, die in der Lage sind eine gute Systemdiagnose zu machen, also alle relevanten Einflussfaktoren zusammenzutragen, nicht nur das engere, sondern auch das erweiterte soziale Umfeld zu berücksichtigen und dann bewusst zu entscheiden, wo interveniert werden soll, fokussieren nicht primär auf den Menschen mit Demenz, sondern denken systemisch. Sie glauben an die kleinen Schritte, die Grosses bewirken können und werden sich einig über eine gemeinsame Strategie. Sie beobachten, welche Veränderungen welche Wirkung zeigen und leiten Schlüsse daraus ab.


Wenn wir interessiert bleiben und herausfinden wollen, wie Möglichkeitsräume wieder grösser werden können, uns jeweils auf den Prozess einlassen und auf unsere kollektive Kreativität vertrauen, uns Ausprobieren erlauben, wird der Alltag besser gelingen. Enttäuschung entsteht immer dann, wenn wir eine Vorstellung davon haben, wie etwas sein müsste. Wie wir Situationen beurteilen, bestimmt unser Leben. Und wie wir Situationen lesen, bestimmen wir.

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